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Wilde Streiks sind in Deutschland verboten und Arbeitgeber haben das Recht, sich dagegen zu wehren. Doch welche Maßnahmen sind im Fall der Fälle sinnvoll? Der Artikel erläutert alles, was Arbeitnehmer und Unternehmen zum Thema wilder Streik wissen sollte.
Definition: Was ist ein wilder Streik?
Ein wilder Streik ist eine unabhängig von den Gewerkschaften geführte kollektive Niederlegung der Arbeit. Wie ein regulärer Streik auch kann ein wilder Streik die Form kurzfristiger Warnstreiks oder die einer längeren Niederlegung der Arbeit annehmen. Wilde Streiks sind in Deutschland unzulässig – waren in der Vergangenheit aber oftmals Bestandteil sozialrevolutionärer Bewegungen.
Wie unterscheidet sich ein wilder Streik von einem regulären Streik?
Im Unterschied zu einem wilden Streik gelten reguläre Streiks als klassische, rechtlich zulässige Form des Arbeitskampfes. Sie beruhen auf gewerkschaftlicher Initiative und dienen der Durchsetzung zuvor geäußerter Forderungen. Ziel ist der Abschluss eines neuen Tarifvertrags.
Zwar sind diese Richtlinien in Deutschland nicht gesetzlich geregelt, aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeits- und Bundesverfassungsgerichts gelten sie aber seit langem als gesetzt. Während Arbeitgeber verpflichtet sind, rechtlich zulässige Streiks zu dulden und ihre Beschäftigten für die Teilnahme nicht sanktionieren dürfen, sieht es bei wilden Streiks anders aus.
Wann genau handelt es sich um einen wilden Streik?
Von einem wilden Streik spricht man im Falle eines Niederlegens der Arbeit durch einzelne Arbeitnehmer ohne Zustimmung und Unterstützung durch die jeweilige Gewerkschaft. Nach geltenden deutschem Recht ist ein Streik, der von keiner tariffähigen Partei geführt wird, rechtswidrig.
Das bedeutet, dass ein wilder Streik als bloße Arbeitsverweigerung verstanden werden und das Unternehmen das Recht hat, individualrechtlich gegen diese vorzugehen. Eine Abmahnung oder sogar außerordentliche Kündigung für die Streikenden ist in diesem Falle zulässig. Eine Ausnahme hat das Bundesarbeitsgericht festgelegt. Die Gewerkschaft hat die Möglichkeit, einen wilden Streik nachträglich zu übernehmen und damit rechtlich zu rechtfertigen.
Rechtlicher Rahmen zum wilden Streik
Sind wilde Streiks zulässig?
Nach herrschender Auffassung im deutschen Rechtssystem sind wilde Streiks derzeit keine zulässige Maßnahme im Arbeitskampf. Da jeder Streiks dazu dienen soll, einen neuen Tarifvertrag zu erzwingen, setzt er automatisch die gewerkschaftliche Organisation voraus.
Es gibt zwar auch Stimmen, die diese Auffassung für unvereinbar mit für Deutschland geltenden Normen – allen voran die EU-Grundrechtecharta und die Europäische Menschenrechtskonvention – halten. Bisher haben die deutschen Gerichte diese Kritik aber nicht umgesetzt. So urteilte erst im Mai 2022 das Arbeitsgericht Berlin im Rahmen eines wilden Streik von Kurierfahrern im Sinne des Arbeitgebers. Dieser hatte den beteiligten Fahrern außerordentlich gekündigt – und erhielt seitens des Arbeitsgerichts die Bestätigung, dass die Kündigung wirksam sei.
Mit welchen Folgen müssen Streikende beim wilden Streik rechnen?
Arbeitnehmer gehen mit der Durchführung eines wilden Streiks ein hohes Risiko ein. Der Grund: Im Falle eines solchen Streiks als unzulässige Maßnahme des Arbeitskampfes hat der Arbeitgeber das Recht, eine außerordentliche Kündigung (fristlos oder fristgerecht) auszusprechen. Das haben Urteile verschiedener deutscher Arbeitsgerichte bestätigt.
Als alternatives Mittel können Arbeitgeber – mit dem Argument, dass die Streikenden ihre Maßnahme nur kurzfristig oder gar nicht angekündigt haben – ein einstweiliges Verfügungsverfahren anstrengen. Da die Aktion in der Regel aber schon vorbei wäre, bis das Verfahren eingeleitet wäre, müssen Arbeitnehmer in einem solchen Fall kaum mit Konsequenzen rechnen. In Frage kommt ein Gerichtsverfahren aber zum Beispiel bei längeren oder wiederkehrenden wilden Streiks.
Eine Gegenmaßnahme des Arbeitgebers, die die Angestellten unter Umständen teuer zu stehen kommen kann, sind mögliche Schadensersatzansprüche. So hat der Arbeitgeber – auch bei gewerkschaftlich geführten Streiks – die Möglichkeit, Schadensersatz zu verlangen, wenn der Streik nicht nach den strikten Vorgaben an die Zulässigkeit geführt wird. Teilnehmende an einem wilden Streik müssten daher im Zweifelsfall für Produktionsausfälle oder den dem Unternehmen entgangenen Umsatz aufkommen. Ob der Einzelne dazu bereit ist, ist fraglich. Zu bedenken ist schließlich auch, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, seinen Angestellten für die Dauer des Streiks kein Gehalt zu zahlen.
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Warum sind wilde Streiks verboten?
Nach derzeitiger Rechtsprechung sind nur von der Gewerkschaft getragene Streiks zulässig, die ein tariflich zu regelndes Ziel verfolgen. Diese Auffassung geht auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 1963 zurück, das einen verbandsfreien Streik für rechtswidrig erklärte.
Die Richter begründeten diese Entscheidung damit, dass jeder Streik durch kontrollierende Stellen organisiert sein müsse, die gewährleisten, dass es nur in begründeten Fällen zu einem Streik komme. Auf Seite der Arbeitnehmer waren damit die Gewerkschaften gemeint. Da die Maßnahme des Streiks so viel Macht berge, könne man das Streikrecht nicht einzelnen Mitgliedern der Belegschaft und nichtgewerkschaftlichen Gruppen anvertrauen, bei denen nicht sicher sei, dass sie es nur in vertretbaren Fällen verwendeten.
Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus?
In vielen Ländern Europas wird das Streikrecht anders gehandhabt als in Deutschland. So darf etwa in Frankreich und Italien neben den Gewerkschaften jede Gruppe von Beschäftigten zum Streik aufrufen. Auch in Deutschland werden bereits seit einigen Jahren Stimmen laut, die darauf verweisen, dass in der Bundesrepublik – wie in vielen Ländern der EU – die Europäische Sozialcharta (ESC) gilt. Bei dieser handelt es sich um einen Vertrag des Europarats, dem Deutschland 1961 zustimmte und den sie 1965 mit mehreren Einschränkungen ratifizierte.
In Teil II Artikel 6 Nummer 4 der Sozialcharta erkennen die unterzeichnenden Staaten das Recht der Arbeitnehmer auf kollektive Maßnahmen im Falle von Interessenkonflikten an. Gemäß der Charta gehört zu den Maßnahmen, die der wirksamen Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen dienen, auch das Streikrecht.
Der Vertrag nutzt an dieser Stelle ausdrücklich den Begriff „Arbeitnehmer“ und bezieht sich nicht auf die Gewerkschaften. Daraus lässt sich das allgemeine Recht der Arbeitnehmer ableiten, Kollektivmaßnahmen einschließlich des Streiks zu initiieren.
Zuständig für die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta in den unterzeichnenden Mitgliedsstaaten ist das Ministerkomitee des Europarats. Dieses besteht aus den Außenministern der Mitgliedstaaten und wird von einem Sachverständigenausschuss unterstützt. Seit einigen Jahren schon besteht dieser Sachverständigenausschuss darauf, dass das in Deutschland bestehende Verbot aller Streiks, die nicht von den Gewerkschaften ausgerufen oder übernommen werden, einen Verstoß gegen die Sozialcharta darstelle. Da sich an der Rechtsprechung bislang aber nichts geändert hat, sind wilde Streiks nach wie vor verboten.
Rechtfertigt ein wilder Streik eine fristlose Kündigung?
Arbeitgeber, die mit einem wilden Streik ihrer Beschäftigten konfrontiert sind, stellen sich mit Sicherheit die Frage, wie sie auf derartige Aktionen reagieren können. Tatsächlich ist es Arbeitgebern in Deutschland gestattet, den Streikbeteiligten die Kündigung auszusprechen. So gab es bereits einige Streikfälle, in denen die Klagen von Arbeitnehmern gegen ihre Kündigung vor dem Arbeitsgericht erfolglos blieben. Das Gericht sah die außerordentlichen und fristlosen Kündigungen als zulässig an.
Beispiele für wilde Streiks
In der Regel sind wilde Streiks Aktionen kleiner Gruppen von Arbeitnehmern. Um trotzdem eine gewisse Wirkung zu erzielen, bedienen sich wilde Streiks häufig recht extremer Mittel. Oftmals geht es darum, die betrieblichen Abläufe zu stören, indem man beispielsweise die Zugänge zum Betrieb blockiert, oder die Streikenden binden sehr offensive Aktivitäten auf Social Media ein.
Lebensmittel-Lieferdient vs. Kurierfahrer (2022)
Eins der bekannter gewordenen Beispiele eines wilden Streiks in der jüngsten Vergangenheit fand im Sommer 2021 in Berlin statt. Die Kuriere des Lebensmittel-Lieferdiensts Gorillas wollten sich gegen ihre unpünktliche Bezahlung und mangelhafte Arbeitsausstattung wehren und versperrten über vier Tage hinweg die Zufahrt zu den Lagerräumen ihres Arbeitgebers.
Nach mehrfachen Aufforderungen an die Mitarbeitenden, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, reagierte Gorillas mit der fristlosen Kündigung der beteiligten Kuriere. Die daraufhin eingelegten Klagen wegen Kündigungsschutz wurden vom Berliner Landesarbeitsgericht abgewiesen. Die Begründung lautete, dass der Streik nicht von einer Gewerkschaft organisiert und damit unrechtmäßig gewesen sei.
Airline vs. Mitarbeiter (2016)
Ein weiteres Beispiel für einen wilden Streik: 2016 kam es bei der Airline TUIfly wegen großangelegter Umstrukturierungen zu einem massiv ansteigenden Krankenstand. Flüge fielen aus oder mussten verschoben werden, was für das Unternehmen mit immensen finanziellen Folgen und einem hohen Imageschaden einherging.
Dass es sich hierbei um einen wilden Streik handelte, zeigte sich spätestens, als die erkrankten Mitarbeiter nach Aufgabe der Sparpläne ihres Arbeitgebers wieder vollständig genesen am Arbeitsplatz erschienen.
Richtig reagieren beim wilden Streik: 5 Ratschläge für Arbeitgeber und HR
Bevor sie tätig werden, sollten Arbeitgeber im Falle eines wilden Streiks sorgfältig überlegen, wie sie auf die Aktion ihrer Angestellten reagieren sollen. Schließlich gilt es auch, eine möglicherweise negative mediale Berichterstattung zu umgehen.
Es hängt also immer vom Einzelfall ab, welche Reaktion sich besonders empfiehlt. Trotzdem werden im Folgenden fünf mögliche Wege vorgestellt, mit einem nicht durch die Gewerkschaft unterstützten Streik der Arbeitnehmer umzugehen:
- Vergütung einbehalten: Für die Dauer des Streiks dürfen Arbeitgeber, deren Angestellte unrechtmäßig streiken, deren Gehalt bzw. Arbeitsentgelt einbehalten.
- Aufforderung zur Wiederaufnahme der Arbeit: Bevor man zu arbeitsrechtlichen Mitteln wie Abmahnung und Kündigung greift, sollte man unbedingt an die Belegschaft appellieren und gegebenenfalls in Verhandlungen treten.
- Abmahnung erteilen: Im nächsten Schritt können Arbeitgeber disziplinarische Maßnahmen wie eine Abmahnung anwenden. Mit der schriftlich erteilten Abmahnung bestanden sie das arbeitsvertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers und drohen für den Wiederholungsfall negative Rechtsfolgen an.
- Kündigung aussprechen: Mit einer außerordentlichen Kündigung beenden Arbeitgeber die Arbeitsverhältnisse mit den Streikenden. Die außerordentliche Kündigung kann fristlos oder fristgerecht erfolgen. Es handelt sich um ein drastisches Mittel, das im Falle eines wilden Streiks aber rechtmäßig ist. Trotzdem sollten Arbeitgeber vorsichtig vorgehen und nicht vergessen, dass solche harten arbeitsrechtlichen Sanktionen in der heutigen Arbeitswelt und durch die Empörung in den sozialen Medien zu massiven Imageschäden für die Arbeitgebermarke führen können. Ein ungewollter Nebeneffekt harter Gegenmaßnahmen kann auch sein, dass die Mitgliedszahlen der Gewerkschaften nach oben schnellen und die Arbeitnehmervertretungen in Zukunft schneller rechtmäßige Streiks ausrufen.
- Einzelne Beschäftigten über Schadensersatzansprüche informieren: Unter Umständen kann es hilfreich sein, etwaige Schadensersatzansprüche – beispielsweise für Produktions- oder Umsatzausfälle – zu prüfen und dies einzelnen Teilnehmern am wilden Streik mitzuteilen. Auf diese Weise wird den Mitarbeitern möglicherweise das hohe finanzielle Risiko bewusst, in welches sie sich mit einem wilden Streik begeben würden.