Zusammenfassung
- Produktivität ist nicht dasselbe wie Produktion.
- Dennoch wird der Begriff häufig so verwendet.
- Das ist insbesondere in der Diskussion um kürzere Arbeitszeiten wichtig.
Inhalt
Produktivität: wie der Begriff immer wieder falsch verwendet wird
Immer wieder ist davon die Rede, dass niedrigere Arbeitszeiten nicht mit einem Rückgang der Produktivität verbunden sein müssen. Dabei wird der Begriff oftmals ‘Produktivität’ falsch verwendet. Die Arbeitsproduktivität dürfte bei einer gesunkenen Arbeitszeit sogar ziemlich sicher steigen, nicht aber die Produktion.
In Diskussionen um niedrigere Arbeitszeiten, eine mögliche Vier-Tage-Woche und mehr Work-Life-Balance wird von den Befürwortern oftmals das Argument angeführt, dass dies nicht mit einem Rückgang der Produktivität verbunden sei. In den Medien wird diese Formulierung gerne so wiederholt.
Was damit allerdings wirklich gemeint ist: Es geht den Beteiligten um das Ergebnis, also die Produktion, und nicht um die Arbeitsproduktivität. Diese ist nämlich so definiert:
Arbeitsproduktivität = Output (Produktion) / Input (Arbeitsleistung)
Das bedeutet: Die Arbeitsproduktivität gibt an, wie viel Output, also zum Beispiel produzierte Güter, mit einer bestimmten Menge an Arbeitsleistung, zum Beispiel mit einer Arbeitsstunde, hergestellt werden können.
Wenn nun argumentiert wird, die Produktivität sinke nicht mit kürzeren Arbeitszeiten, so ist das sogar recht wahrscheinlich, denn wer kürzer arbeitet, kann vermutlich in der verbleibenden Zeit mehr Leistung pro Arbeitsstunde erbringen.
Ob damit jedoch auch die Produktion konstant gehalten werden kann, ist eine andere Frage. Hier müsste die Arbeitsproduktivität im gleichen Maße steigen, in dem die Arbeitszeit sinkt.
Die Produktion berechnet sich entsprechend wie folgt:
Produktion = Arbeitsproduktivität * Input (Arbeitsleistung)
Daran lässt sich erkennen: Wenn der Input in Form gesunkener Arbeitsstunden sinkt, muss die Produktivität steigen, damit die Produktion konstant bleibt.
Beispiel: Das Team eines produzierenden Unternehmens kann an einem Arbeitstag mit acht Stunden 20 Produkte herstellen. Die Arbeitsproduktivität lässt sich wie folgt berechnen:
Arbeitsproduktivität = 20 Produkte / 8 Teamstunden = 2,5 Produkte / Teamstunde
Senkt man nun die Arbeitszeit auf 6 Stunden, müsste die Produktivität deutlich steigen, um weiterhin 20 Produkte pro Tag herzustellen:
Arbeitsproduktivität = 20 Produkte / 6 Teamstunden = 3,34 Produkte / Teamstunde
Das wäre eine notwendige Steigerung der Produktivität um 33 Prozent. Ein derart starker Anstieg dürfte nur in den wenigsten Branchen und Unternehmen möglich sein. Zwar bieten die Optimierung von Arbeitsabläufen, Automatisierung und der Verzicht auf nicht benötigte Meetings einiges an Potential, doch dürfte dies in vielen Fällen nicht ausreichen, um die aufgrund gesunkener Arbeitszeiten geringere Produktion zu kompensieren.
Produktivität lässt sich nicht einfach so steigern
Betrachtet man das durchschnittliche gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum in Deutschland zwischen den Jahren 1991 und 2021 (Zahlen des Statistischen Bundesamts), das sich zwischen 1 und 1,5 Prozent pro Jahr bewegte, wird deutlich, dass es sehr wahrscheinlich nicht gelingen wird, die Produktivität branchenübergreifend auch nur annähernd so deutlich zu steigern, dass damit beispielsweise eine Vier-Tage-Woche kompensiert werden könnte – erst recht nicht, wenn dies bei vollem Lohnausgleich geschieht.
Auch konkrete Beispiele verdeutlichen, dass Produktivitätssteigerungen von 20 Prozent und mehr in vielen Branchen einfach nicht realistisch sind.
- Beispiel Pflege: Eine Pflegefachkraft, die mit ihrem Arbeitspensum ohnehin bereits ausgelastet ist, kann sich nicht einfach um noch mehr Patienten kümmern.
- Beispiel Verkehr: Ein Lokführer kann nur eine Lok zur gleichen Zeit steuern.
- Beispiel Bildung und Erziehung: Lehrkräfte sind bereits heute oftmals an den Grenzen der Belastbarkeit angekommen. Wenn sie ihre Aufgaben in kürzerer Zeit erledigen müssten, wäre das in vielen Fällen einfach nicht machbar – mit negativen Auswirkungen auf die Schüler und die Bildung im Land.
Neue Stellen müssten Produktion ausgleichen
Wenn die Produktion sinkt, müsste dies durch zusätzliche Stellen ausgeglichen werden, sofern die Wertschöpfung nicht sinken soll. Der Fachkräftemangel verhindert die Besetzung offener Stellen allerdings in vielen Branchen.
Versuche zeigen, dass kürzere Arbeitszeiten funktionieren können
Allerdings kann es bestimmte Branchen oder Unternehmen geben, in denen dies funktionieren kann: Immerhin zeigten sich viele Unternehmen in Großbritannien und Island bei Versuchen mit einer Vier-Tage-Woche von den Ergebnissen überzeugt.
In Island wurde in einem Test die Arbeitszeit von 2.500 Arbeitnehmern von 40 auf 36 bzw. auf 35 Stunden bei gleicher Bezahlung reduziert. Seit Abschluss des Versuchs können viele Isländer kürzer arbeiten – und das funktioniert – selbst in Branchen, in denen sich die Produktivität nicht ohne Weiteres steigern lässt.
Es kommt also immer auf den Kontext an.
Fazit und Bewertung
Kürzere Arbeitszeiten können die Produktivität steigern – zumindest, wenn diese auf Grundlage der Arbeitszeit berechnet wird.
Die Produktion sinkt, wenn es nicht gelingt, die Arbeitsproduktivität im gleichen Maße zu erhöhen, in dem die Arbeitszeiten sinken.
In manchen Branchen und Unternehmen können Produktivität und Produktion bei kürzeren Arbeitszeiten konstant gehalten werden. In anderen Fällen kann zumindest die Produktivität erhöht werden, während die Produktion sinkt.