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Lässt sich das Streikrecht einschränken?
Angesichts zunehmender Streiks in Deutschland werden Diskussionen um mögliche Einschränkungen des Streikrechts lauter. Doch das ist gar nicht so einfach, denn es gibt keine eindeutige Rechtsgrundlage.
Streiks bei der Bahn, Streiks bei der Lufthansa, Streiks im öffentlichen Dienst: Zumindest fühlt es sich so an, als habe die Zahl der Streiks in Deutschland in letzter Zeit deutlich zugenommen. Dabei liegt Deutschland nach Zahlen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans Böckler Stiftung bei der Anzahl von Streiktagen pro 1000 Beschäftigten mit 18 deutlich hinter Ländern wie Frankreich (92) und Belgien (96).
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Und doch: Die jüngsten Streiks der GDL und beim Bodenpersonal der Lufthansa sind besonders spürbar, denn sie betreffen viele Menschen, die dadurch in ihrer Mobilität deutlich eingeschränkt sind. Der Ärger hat sich in letzter Zeit noch vergrößert, weil die GDL jetzt auch nicht angekündigte Streiks durchführen will, sogenannte Wellenstreiks.
Das alles löst zunehmende Diskussionen um mögliche Einschränkungen beim Streikrecht aus. So fordert zum Beispiel Gitta Connemann (CDU), Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, für bestimmte Bereiche ein zwingendes Schlichtungsverfahren. Aus der FDP kommen Forderungen nach einer Einschränkung des Streikrechts für kleine Gewerkschaften.
Doch ganz so einfach ist es nicht, das Streikrecht zu beschränken. Immerhin gründet es sich auf Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG). Dort ist die sogenannte Koalitionsfreiheit beschrieben:
“Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.[…]”
Die Koalitionsfreiheit ist das jedermann zustehende Recht, zur Wahrung und zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Zu diesen Vereinigungen gehören auch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Daraus lässt sich ableiten, dass das Streikrecht nicht um seiner selbst willen geschützt ist, sondern lediglich Mittel zum Zweck des Abschlusses von Tarifverträgen ist. So beschreiben es die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags in einer aktuellen Ausarbeitung.
Frühere Gerichtsentscheidungen zum Streikrecht
Ein explizites Streikgesetz gibt es in Deutschland nicht. Es gab allerdings in der Vergangenheit einige höchstrichterliche Entscheidungen, anhand derer sich die Grenzen des Streikrechts bemessen lassen. So hatte zum Beispiel das Bundesarbeitsgericht im Jahr 1971 festgestellt, dass Arbeitskampfmaßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Das Gemeinwohl darf durch sie nicht offensichtlich verletzt werden. Dies bestätigte der Bundesgerichtshof in der sogenannten “Fluglotsenentscheidung” aus dem Jahr 1978. Damals hatte das Gericht einen Bummelstreik der Fluglotsen für nicht rechtmäßig befunden, weil damit die Grenzen eines fairen Arbeitskampfs überschritten worden seien. Die Maßnahmen hätten zu erheblichen Schäden für die Volkswirtschaft und für Unbeteiligte geführt.
Im Jahre 1991 hatte das Bundesverfassungsgericht befunden, dass hinsichtlich der Grenzen der Koalitionsfreiheit eine Einschränkung des Arbeitskampfs nicht ausgeschlossen sei, wenn Grundrechte Dritter oder andere Güter von Verfassungsrang betroffen seien. Zu Letzteren gehören zum Beispiel Verfassungsgrundsätze wie die freiheitlich-demokratische Grundordnung, Staatszielbestimmungen wie der Tierschutz oder auch reine Kompetenznormen.
Gegenstimmung einer Begrenzung des Streikrechts
Es gibt jedoch auch Stimmen, die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Begrenzung des Streikrechts für ungeeignet halten. Dieser Grundsatz sei zur Begrenzung staatlicher Eingriffe entwickelt worden, nicht aber zur Rechtfertigung staatlicher Freiheitseingriffe. Daher sei es sittenwidrig, ihn als Grundrechtsschranke einzusetzen. Die grundrechtliche Freiheit stehe nicht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit ihrer Ausbübung. Bei entsprechender Anwendung drohe außerdem die Gefahr einer gerichtlichen Tarifzensur.
Als Argument gegen die Gemeinwohlbindung von Arbeitskampfmaßnahmen wird angeführt, dass diese ja durch die tarifliche Auseinandersetzung gerade dem Gemeinwohl diene. Es wird nicht abgestritten, dass es durch Arbeitskämpfe zu Beeinträchtigungen Dritter kommen könne. Diesen müsse aber mit gesetzlich begründeten Unterlassungsansprüchen begegnet werden.
Fazit
Ein unbeschränktes Streikrecht ungeachtet der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Gemeinwohlbindung dürfte ausgeschlossen sein, denn die Möglichkeit zur grenzenlosen Ausübung der Koalitionsfreiheit würde im Gegenzug die Vernachlässigung der Rechte aller anderen bedeuten (Scherer, Inge, Grenzen des Streikrechts in den Arbeitsbereichen der Daseinsvorsorge, Berlin 2000, S. 64).
In der aktuellen Rechtslage wird die Entscheidung, ob und inwieweit ein Streik nicht mehr von der in Art. 9 Abs. 3 GG festgelegten Koalitionsfreiheit abgedeckt ist, im Einzelfall getroffen werden müssen.