Kommt jetzt die Arbeitszeiterfassung für Lehrer? Aktuelles Urteil könnte den Ausschlag geben

In der Diskussion um eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte stärkt ein aktuelles Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (OVG) die Position der Befürworter.

Zusammenfassung

Das OVG Lüneburg hat einem pensionierten Schulleiter eine Ausgleichszahlung wegen Mehrarbeit zugesprochen.

Gewerkschaften begrüßen das Urteil und erwarten, dass damit wieder Bewegung in die Diskussion um die Arbeitszeiterfassung kommt.

Urteile des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts zeigen, dass Arbeitszeiterfassung auch für Lehrkräfte bereits heute verpflichtend wäre.

Lehrer an Berufsschule

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Kommt jetzt die Arbeitszeiterfassung für Lehrer? Aktuelles Urteil könnte den Ausschlag geben

In der Diskussion um eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte stärkt ein aktuelles Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (OVG) die Position der Befürworter. Es sprach einem pensionierten Schulleiter eine Ausgleichszahlung aufgrund geleisteter Mehrarbeit zu.

Noch gibt es an staatlichen Schulen in Deutschland keine Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte. Das könnte sich demnächst ändern. Zumindest liefert ein aktuelles Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Niedersachsen) den Befürwortern einer solchen Lösung gute Argumente: Etwa 31.000 Euro soll ein pensionierter Schulleiter demnach für seine geleisteten Überstunden vom Staat erhalten. Dagegen hatte eine pensionierte Grundschulrektorin aus der Grafschaft Bentheim (ebenfalls Niedersachsen) mit einer ähnlichen Klage keinen Erfolg, weil sie ihre geleistete Mehrarbeit nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend belegen konnte.

Der Schulleiter hatte aufgrund des Fehlens einer Arbeitszeiterfassung Lehrkräfte seine Arbeitszeiten individuell aufgezeichnet und kam auf durchschnittlich 8 Stunden und 42 Minuten Zuvielarbeit pro Woche. Das Gericht erkannte nur 5 Stunden und 48 Minuten pro Woche an. Dafür soll der Kläger rund 31.000 Euro erhalten. Eine Revision am Bundesverwaltungsgericht ist nicht zugelassen.

Gewerkschaften erfreut über das Urteil

Von Arbeitnehmerseite wird das Urteil begrüßt. So spricht zum Beispiel der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) von einem wegweisenden Urteil. Das Gericht erkenne damit an, dass Schulleiterinnen und Schulleiter regelmäßig Mehrarbeit und Überstunden leisten, ohne dafür bezahlt zu werden. Der niedersächsische Landesvorsitzende des VBE, Franz-Josef Meyer, erwartet, dass mit dem Urteil die Diskussion um die Arbeitszeiterfassung für Lehrer wieder Fahrt aufnehmen wird.

Der Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Niedersachsen verbucht das Urteil als Erfolg auch für die eigenen Bemühungen. Die Entscheidung des Gerichts bestätige, dass die Arbeitszeit von Lehrkräften messbar sei und dass dokumentierte Überstunden zu entlohnen seien. Das Urteil könne nach Einschätzung des GEW Niedersachsen allen Lehrkräften die dringend nötige Entlastung bringen. Der GEW setzt sich für eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte ein, damit diese belegen können, dass sie deutlich länger als die im niedersächsischen Beamtengesetz festgelegten 40 Stunden pro Woche arbeiten.

Auch verschiedene Experten sehen die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte als notwendig an. So geht zum Beispiel aus einer Studie der gewerkschaftsnahen Friedrich-Ebert-Stiftung hervor, dass besonders belastete Lehrkräfte regelmäßig länger als 48 Stunden pro Woche arbeiten. Das bisherige Deputatsmodell für Lehrkräfte, das lediglich die zu leistenden Unterrichtsstunden festlegt, werde laut den Experten dem tatsächlichen Arbeitsumfang der Lehrkräfte nicht gerecht.

Widerstand der Kultusministerien bröckelt

Die zuständigen Kultusministerien der Bundesländer stehen einer Arbeitszeiterfassung für Lehrer noch mehrheitlich ablehnend gegenüber – wohl auch aus Sorge, dass damit die Mehrbelastung der Lehrkräfte offen zu Tage träte und es noch schwieriger wäre, offene Stellen zu besetzen. Sicherlich dürfte auch die Sorge um finanzielle Nachforderungen wie im aktuellen Verfahren eine Rolle spielen.

Allerdings kam zuletzt zumindest in einigen Bundesländern Bewegung in die Sache. So zeigt sich zum Beispiel das Kultusministerium in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich offen für eine Zeiterfassung für Lehrer. In Bremen möchte man die Arbeitszeiterfassung an ausgewählten Pilotschulen testen. Und in Hessen haben sich die Koalitionspartner CDU und SPD auf die Einführung der Arbeitszeiterfassung für Lehrer geeinigt.

Arbeitszeiterfassung ist Pflicht –  auch für Lehrkräfte

Dabei ist die Rechtslage eigentlich klar: Arbeitszeiterfassung ist Pflicht für alle Arbeitnehmer in der EU, von einzelnen Ausnahmen wie zum Beispiel leitenden Angestellten einmal abgesehen. Das geht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Mai 2019 hervor. Für Deutschland bestätigte das Bundesarbeitsgericht im September 2022 diese Entscheidung und berief sich dabei auf das Arbeitsschutzgesetz, das auch für Beamte und damit auch für beamtete Lehrkräfte gilt – und für angestellte Lehrerinnen und Lehrer sowieso.

Das Bundesarbeitsministerium erteilte dem Ersuchen der Kultusministerkonferenz nach einer Ausnahme von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für wissenschaftliche Mitarbeiter sowie für Lehrkräfte eine klare Absage.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass das OVG Lüneburg im Sinne der Lehrkräfte entschieden hat. Im Jahr 2015 hatte das Gericht eine Erhöhung der Pflichtstunden für Lehrkräfte abgelehnt. Als Grund nannte das Gericht die aktuelle Unklarheit über die Tätigkeiten, die Lehrkräfte zusätzlich zum Unterricht ausüben müssen.

Das aktuelle Gerichtsurteil dürfte die Debatten rund um die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte als sehr wahrscheinlich weiter befeuern. Es bleibt abzuwarten, ob es weiterer Klagen und Gerichtsurteile bedarf, bis sich die Politik in dieser Frage bewegen wird.



Verfasst von Christian Kunz

Christian verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Projektmanagement, Produktmanagement sowie agiler Projektentwicklung, die er in verschiedenen Unternehmen erworben hat.