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Gericht bestätigt Verdachtskündigung eines Arbeitnehmers wegen fehlerhafter Arbeitszeiterfassung
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat die Verdachtskündigung eines Arbeitnehmers bestätigt, dem wegen mutmaßlich fehlerhafter Arbeitszeiterfassung von seinem Arbeitgeber gekündigt worden war.
Kann eine vorsätzlich fehlerhafte Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitnehmer zu dessen Kündigung durch den Arbeitgeber führen – selbst dann, wenn das Fehlverhalten nicht beweisen werden kann? Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern ist in einem solchen Fall eine sogenannte Verdachtskündigung rechtens. In seinem Urteil vom 28. März 2023 wies das Gericht die Klage des Arbeitnehmers auf Fortführung des Arbeitsverhältnisses ab.
- Arbeitszeiten erfassen
- Dokumentationspflicht einhalten
- Arbeitszeitkonten digital verwalten
- Zeiten auswerten und exportieren
Geklagt hatte der ehemalige Angestellte eines Jobcenters, dessen Lebensgefährtin ebenfalls dort angestellt war und noch immer ist. Der Arbeitsort des Angestellten war normalerweise das Dienstgebäude seines Arbeitsgebers. Mobiles Arbeiten war mit Zustimmung seiner Führungskraft möglich.
Für die Arbeitszeiterfassung im Jobcenter sind die Beschäftigten selbst verantwortlich. Sie kann am Zeiterfassungsgerät / Terminal oder auch online am PC erfolgen. Für beide Varianten ist eine digitale Dienstkarte erforderlich. Laut Vorgaben des Arbeitgebers darf das Dienstgebäude ohne Betätigen des Zeiterfassungsgeräts weder betreten noch verlassen werden.
Im Jobcenter gelten flexible Arbeitszeiten. Zu hohe Zeitsalden (Überstunden oder Minusstunden) werden an die Führungskräfte berichtet.
Auffällige Abweichungen zwischen erfassten Arbeitszeiten und registrierten Anwesenheiten
Der Teamleiterin des Mitarbeiters, die in Teilzeit arbeitet, war aufgefallen, dass er trotz Vollzeitbeschäftigung häufig später am Arbeitsplatz erschien als sie selbst und ihn auch häufig früher verließ. Sie prüfte daraufhin nach Konsultation mit der Personalvertretung die vom Mitarbeiter erfassten Arbeitszeiten. Dabei fielen ihr zwei Dinge auf: Erstens nutzte der Mitarbeiter auch an solchen Tagen, an denen er nicht mobil arbeitete, die Möglichkeit zur Online-Zeiterfassung. Und zweitens wichen die vom Mitarbeiter erfassten Arbeitszeiten von den von der Teamleiterin registrierten Arbeitszeiten ab.
Der Mitarbeiter wurde in verschiedenen Gesprächen, an denen auch jeweils ein Mitglied der Personalvertretung beteiligt war, mit dem Verdacht konfrontiert, Arbeitszeiten falsch erfasst und Online-Buchungen über das Konto eines Dritten (seiner Lebensgefährtin) vorgenommen zu haben, was dieser regelmäßig bestritt.
Nach Darstellung des Mitarbeiters sei dieser mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren und habe sich dann in den Sanitärräumen des Dienstgebäudes umgezogen. Danach habe er seine Kommen-Buchung online am PC vorgenommen.
Nach einer vollständigen Überprüfung der Zeiterfassung des Mitarbeiters für das Jahr 2021 sowie nach weiteren Anhörungen informierte der Arbeitgeber den Personalrat über die Absicht, den Mitarbeiter ordentlich verhaltensbedingt zu kündigen bzw. eine verhaltensbedingte Verdachtskündigung aussprechen zu wollen. Der Personalrat stimmte dem zu.
Mitarbeiter klagt vor dem Arbeitsgericht – und verliert
Der Mitarbeiter klagte daraufhin auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst worden sei. Das Arbeitsgericht Stralsund wies die Klage jedoch ab. Der Antrag auf Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern abgewiesen. Es bestehe der Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. einer schweren vorsätzlichen Pflichtverletzung. Der Kläger habe keine stichhaltige Erklärung für sein auffälliges Buchungsverhalten liefern können. Zudem habe der Kläger in Personalgesprächen die Arbeitszeitmanipulation letztlich eingeräumt, indem er sich auf Alkoholprobleme berufen habe.
Laut Gericht haben Gründe für eine rechtmäßige Verdachtskündigung vorgelegen
In der Begründung teilt das Gericht mit, eine Verdachtskündigung sei als ordentliche Kündigung sozial nur dann gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Der Verdacht müsse auf dringenden, vom Kündigenden darzulegenden und ggf. zu beweisenden Tatsachen beruhen. Zudem müsse der Verdacht dringend sein. Es müsse eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutreffe. Die zum Verdacht führenden Umstände dürften nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht rechtfertige. Bloße Verdächtigungen, die auf mehr oder weniger haltbaren Vermutungen gestützt seien, würden nicht ausreichen.
Voraussetzung sei außerdem, das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses objektiv unabdingbare Vertrauen sei bereits aufgrund des Verdachts eines erheblichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zerstört. Dazu müsse der Arbeitgeber die zur Aufklärung zumutbaren Mittel angewendet haben. Wichtig sei hier insbesondere, dem Beschäftigten die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen.
Ein Interessenabgleich müsse zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten des Arbeitnehmers, dessen er verdächtigt wird, eine sofortige, also außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte.
Die vorsätzliche Falscherfassung von Arbeitszeiten durch den Arbeitnehmer kann laut Arbeitsgericht einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne von Paragraph 626 Abs. 1 BGB darstellen.
Im Zweifel für den Angeklagten – das gilt bei Arbeitsverhältnissen nicht immer
Wie die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern zeigt, muss der Arbeitgeber einem Beschäftigten nicht unbedingt ein Fehlverhalten nachweisen, um ihm zu kündigen. Bei der sogenannten Verdachtskündigung kommt die ansonsten geltende Unschuldsvermutung also nicht zum Tragen. Das liegt vor allem daran, dass der Arbeitgeber nicht über die Befugnisse oder die Untersuchungsmittel der staatlichen Strafverfolgungsbehörden verfügt.
Dennoch kann ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter nicht einfach auf Verdacht kündigen. Dazu müssen vier Voraussetzungen gegeben sein:
- Objektive Tatsachen müssen einen Verdacht begründen.
- Der Verdacht muss dringend sein.
- Die Vertrauensbeziehung muss gestört sein, so dass dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters nicht mehr zuzumuten ist.
- Der Mitarbeiter muss die Gelegenheit erhalten, sich in einer Anhörung zu den Vorwürfen zu äußern.