Zusammenfassung
Ungleiche Nachtzuschläge für Schichtarbeiter und Arbeitskräfte ohne Schichtbetrieb sind laut Bundesverfassungsgericht nicht verfassungswidrig.
Geklagt hatte ein Unternehmen aus der Getränkeindustrie.
Tarifparteien dürfen Vereinbarungen ohne Einmischung des Staates treffen.
Der Überprüfung durch Gerichte sind enge Grenzen gesetzt.
Inhalt
Bundesverfassungsgericht stärkt Tarifautonomie: Nachtzuschläge dürfen unterschiedlich hoch sein
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass eine tarifliche Regelung rechtens ist, nach welcher Schichtarbeiter geringere Nachtzuschläge bekommen als Arbeitnehmer, die nicht im Schichtbetrieb arbeiten. Das oberste deutsche Gericht hob damit eine frühere Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auf und stärkte gleichzeitig die Tarifautonomie.
Im Februar 2024 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt entschieden, dass eine tarifliche Vereinbarung, nach welcher Schichtarbeiter geringere Zuschläge für Nachtarbeit erhalten als ihre Kolleginnen und Kollegen, die nicht in Schichten eingeteilt sind, gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt und damit nicht zulässig ist. Ein Mitarbeiter eines Unternehmens aus der Getränkeindustrie, der regelmäßig in Wechselschichten arbeitet, hatte dagegen geklagt, dass er nur einen Nachtzuschlag von 25 Prozent erhält, während andere Mitarbeiter, die nicht in Schichten eingeteilt sind, für Nachtarbeit einen Zuschlag von 50 Prozent erhalten. Nach der Entscheidung des BAG müssen auch Schichtarbeiter einen Zuschlag von 50 Prozent erhalten, denn es gibt demnach keine ausreichenden Gründe für die Unterscheidung der Bezahlung zwischen Schichtarbeitern und anderen Arbeitern.
Tarifparteien dürfen Vereinbarungen ohne Einmischung des Staates treffen
Gegen diese und eine weitere, analoge Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts reichten die betreffenden Arbeitgeber Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein – und bekamen Recht. Zur Begründung heißt es, die Vereinbarung der Tarifparteien sei zu akzeptieren, denn das Grundgesetz schütze die Tarifautonomie. Konkret bedeutet das, dass die Tarifparteien Vereinbarungen ohne Einmischung des Staates treffen dürfen. Der Überprüfung von Tarifverträgen durch die Gerichte seien Grenzen gesetzt. Sie dürften nur dann einschreiten, wenn willkürlich gegen andere Grundrechte verstoßen würde. Dies sei in den konkreten Fällen aber nicht erkennbar. Dafür sprechen bezahlte Pausen und Schichtfreizeiten für Schichtarbeiter, die ihren Kollegen ohne Schichtbetrieb nicht zustehen. Eine unterschiedliche Bezahlung könne auch dadurch gerechtfertigt sein, dass man sich als Schichtarbeiter besser auf Nachtarbeit einstellen könne. Dies sei ein Unterschied zu kurzfristiger und unregelmäßiger Nachtarbeit.
Das Bundesverfassungsgericht kritisierte außerdem, dass das BAG die Höhe der Zuschläge eigenständig angepasst hatte, anstatt dies zunächst den Tarifparteien zu überlassen.
Weitreichende Wirkung des Urteils erwartet
Es wird damit gerechnet, dass sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf eine Vielzahl der anhängigen Gerichtsverfahren auswirken wird, in denen es um eine ungleiche tarifliche Bezahlung vergleichbarer Tätigkeiten geht. Es wird geschätzt, dass alleine dem BAG rund 400 solcher Fälle vorliegen. In den vorgelagerten Instanzen geht es um etwa 4.000 Fälle.
Verwundert über das Urteil aus Karlsruhe zeigte man sich bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Die Rede ist von einer Kehrtwende des Bundesverfassungsgerichts im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung des BAG.