Bundesarbeitsgericht: Überstundenzuschläge müssen auch bei Teilzeit gewährt werden

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 entschieden, dass eine Regelung für Überstundenzuschläge, die erst beim Überschreiten der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft gewährt werden, Teilzeitbeschäftigte diskriminiert. 
Bundesarbeitsgericht

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Bundesarbeitsgericht: Überstundenzuschläge müssen auch bei Teilzeit gewährt werden

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 entschieden, dass eine Regelung für Überstundenzuschläge, die erst beim Überschreiten der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft gewährt werden, Teilzeitbeschäftigte diskriminiert. 

Das Urteil erging im Fall einer Pflegekraft, die in Teilzeit bei einem Dialyseanbieter arbeitet. Der Manteltarifvertrag (MTV) sieht vor, dass Überstundenzuschläge von 30 Prozent nur dann gezahlt oder als Zeitgutschrift gewährt werden, wenn die monatliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wird. Die Klägerin, die in Teilzeit arbeitet, hatte ein Arbeitszeitguthaben von über 129 Stunden angesammelt. Dafür erhielt sie von ihrem Arbeitgeber weder Überstundenzuschläge noch eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto.

Das Bundesarbeitsgericht stellte in seinem Urteil vom 5. Dezember 2024 (AZ 8 AZR 370/20) fest, dass diese Regelung eine unzulässige Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten darstellt. Das Gericht argumentierte, dass Teilzeitbeschäftigte aufgrund ihrer Teilzeitarbeit schlechter gestellt werden, wenn die Überstundenzuschläge an die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten gekoppelt sind. Das Gericht betonte, dass eine solche Ungleichbehandlung gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten gemäß § 4 Abs. 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) verstößt. Dort heißt es:

“Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.”

Das Gericht sah keine sachlichen Gründe, die diese Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten.

Darüber hinaus bewertete das Gericht die tarifvertraglichen Regelung auch als eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts, da in der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten beim beklagten Unternehmen überwiegend Frauen beschäftigt waren. Es stellte fest, dass diese mittelbare Benachteiligung gegen § 7 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verstößt. Der Senat des Bundesarbeitsgerichts berief sich dabei auf die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der sich zuvor mit der Auslegung des Unionsrechts in diesem Fall befasst hatte.

Als Konsequenz aus der festgestellten Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Regelung sprach das Bundesarbeitsgericht der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift zu. Zusätzlich wurde der Klägerin eine Entschädigung von 250,00 Euro zugesprochen. Das Gericht betonte, dass die Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Regelung zu einem Anspruch auf die zusätzliche Zeitgutschrift führt, die der Klägerin aufgrund der diskriminierenden Regelung nicht gewährt wurde.

Wirkung des Urteils auf bestehende Tarifverträge

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat weitreichende Bedeutung für die Gleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten und die Ausgestaltung von Tarifverträgen. Es verdeutlicht, dass tarifvertragliche Regelungen, die Überstundenzuschläge an die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten koppeln, Teilzeitbeschäftigte diskriminieren können und somit rechtswidrig sind, wenn sie keine anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsehen. Eine solche Regelung wird mit “pro rata temporis” bezeichnet.

Das Urteil unterstreicht auch, dass Arbeitgeber und Tarifvertragsparteien darauf achten müssen, dass ihre Regelungen nicht zu einer mittelbaren Benachteiligung von Frauen führen, die häufiger in Teilzeit arbeiten. Das Gericht wies darauf hin, dass die Tarifparteien aufgefordert sind, entsprechende Anpassungen ihrer tariflichen Regelungen vorzunehmen, um eine Gleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten sicherzustellen.

Gleichbehandlung von Teilzeit und Vollzeitkräften bei Überstundenzuschlägen

Um beim Gewähren von Überstundenzuschlägen weder Teilzeit- noch Vollzeitkräfte zu benachteiligen, müssen Arbeitgeber die richtige Balance finden. Das zeigt das folgende Beispiel:

Ein Unternehmen zahlt einen Stundenlohn von 25 Euro für Vollzeit- und Teilzeitkräfte. Eine Vollzeitkraft arbeitet 160 Stunden im Monat. Wenn das Unternehmen einen Überstundenzuschlag von 25 Prozent gewährt, und das unabhängig davon, ob eine Person in Vollzeit oder Teilzeit tätig ist, dann würde zum Beispiel ein Mitarbeiter, der nur halbtags arbeitet und damit 80 Stunden im Monat zu absolvieren hat, ab der 81. Stunde nicht 25, sondern 31,25 Euro pro Stunde erhalten. Für eine Vollzeitkraft würde dieser Stundenlohn erst ab der 161. Stunde gelten. Der Bruttomonatslohn einer Vollzeitkraft liegt bei 4.000 Euro (160 mal 25 Euro). Die Teilzeitkraft müsste für den gleichen Bruttolohn aber nur 144 Stunden arbeiten (80 mal 25 Euro + 64 mal 31,25 Euro). Auch wenn dies gemäß dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts keine Diskriminierung darstellt, kann es in der Belegschaft zu Neid führen. Zudem schafft eine solche Regelung Anreize, in Teilzeit zu arbeiten – etwas, das viele Unternehmen aufgrund des in manchen Branchen noch immer herrschenden Fachkräftemangels vermeiden möchten.

Mögliche Lösungsansätze

Aber wie kann eine Lösung aussehen? Unternehmen könnten zum Beispiel auf Überstundenzuschläge verzichten. Eine gesetzliche Pflicht für die Gewährung von solchen Zuschlägen gibt es – mit bestimmten Ausnahmen wie zum Beispiel Nachtarbeit – nicht. Allerdings unterliegen viele Unternehmen Tarifverträgen. Auch individuelle Regelungen in Arbeitsverträgen sind möglich.

Die Abschaffung von Überstundenzuschlägen würde zudem auch Nachteile bedeuten – nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für die Unternehmen, die auf die Mehrarbeit angewiesen sind. Alternativ können die Unternehmen durch die eingesparten Kosten zusätzliche Stellen schaffen, was gleichzeitig zur Entlastung des bestehenden Personals führen würde.

Die passende Lösung muss stets im Einzelfall gefunden werden. Dabei ist es wichtig, die Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen und nach Möglichkeit in Einklang zu bringen.



Verfasst von Christian Kunz

Christian verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Projektmanagement, Produktmanagement sowie agiler Projektentwicklung, die er in verschiedenen Unternehmen erworben hat.