Bundesarbeitsgericht: ‚Keine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Richter‘

Laut einem Schreiben des Bundesarbeitsgerichts gilt die ansonsten allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht für Richter und damit auch nicht für diejenigen, die das Urteil zur Arbeitszeiterfassung gesprochen haben.
Bundesarbeitsgericht

© Oliver Hlavaty / Adobe Stock

Bundesarbeitsgericht: ‚Keine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Richter‘

Laut einem Schreiben des Bundesarbeitsgerichts gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht für Richter und damit auch nicht für diejenigen, die das Urteil zur Arbeitszeiterfassung gesprochen haben.

In seinem Urteil zur Arbeitszeiterfassung vom September 2022 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Arbeitgeber dazu verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu beachten. Diese Pflicht gilt allgemein und sieht praktisch keine Ausnahmen vor.

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So erstaunt es, dass ausgerechnet das BAG seine Richter sowie Richter allgemein von der Arbeitszeiterfassung ausnimmt. Diese passe nicht zu den ausgeübten Tätigkeiten, deren Umfang sich von den in der Geschäftsverteilung zugewiesenen Aufgaben bestimme. Daher würden die Richter nicht an der automatisierten Zeiterfassung des Bundesarbeitsgerichts teilnehmen.

Das Bundesarbeitsgericht antwortete damit auf die Anfrage eines Bürgers, der auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Auskunft über die Arbeitszeitdokumentation der Bundesarbeitsrichter verlangt hatte. Das Antwortschreiben des Bundesarbeitsgerichts ist auf der Website ‚FragDenStaat‘ veröffentlicht worden. Die FAZ hatte am 1. April zuerst darüber berichtet. Aufgrund der Veröffentlichung des Antwortschreibens ist nicht von einem Aprilscherz auszugehen.

Im Schreiben heißt es: „Die von Ihnen gewünschten Arbeitszeiterfassungen der Richterinnen und Richter des Bundesarbeitsgerichts kann ich Ihnen nicht übersenden, da Richterinnen und Richter nicht an der automatisierten Zeiterfassung im Bundesarbeitsgericht teilnehmen.“

Richterinnen und Richter seien nach Art. 96 Abs. 1 Grundgesetz unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Dazu gehöre auch, dass sich der von ihnen geleistete Arbeitseinsatz nach den in der richterlichen Geschäftsverteilung zugewiesenen Aufgaben und dem konkreten Richteramt bestimme. Dies sei für den geschuldeten Einsatz maßgeblich und nicht eine festgelegte Arbeitszeit.

Ausnahmen von der Arbeitszeiterfassung auch für andere Berufe?

Doch wenn die Richter des Bundesarbeitsgerichts für sich eine Ausnahme von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung reklamieren, muss es dann nicht auch für andere Tätigkeiten und Berufe Ausnahmen geben, bei denen sich die Arbeitsleistung nicht oder nur schwierig in Zeit bemessen lässt? Zumindest ließen die Reaktionen aus der Wirtschaft nicht lange auf sich warten. So spricht laut FAZ-Bericht zum Beispiel Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, von „Doppelbödigkeit“.

Arbeitgeber fordern von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, beim geplanten Gesetz zur Arbeitszeiterfassung auf Flexibilität zu achten. Die vom BAG erlassene Vorgaben sollten durch praxisnähere Anforderungen ersetzt werden. Zudem sei darauf zu achten, bei öffentlichen Behörden und privaten Unternehmen nicht mit zweierlei Maß zu messen. Lufthansa-Personalchef Niggemann hatte ebenfalls zuletzt Flexibilität bei der Arbeitszeiterfassung gefordert.

Wissenschaft fordert Ausnahmen

Auch die Wissenschaft fordert für ihren Sektor Ausnahmen von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. In einem weiteren Beitrag der FAZ sprachen sich Andreas Voßkuhle, früherer Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sowie der Freiburger Rechtsprofessor Ralf Poscher gegen die Arbeitszeiterfassung für Wissenschaftler aus. Und wie sieht es mit anderen, vor allem kreativen Berufen aus, die in ihrer Struktur wissenschaftlichen Tätigkeiten ähneln? Hier gehe es darum, nicht alle Berufe arbeitsrechtlich gleich zu behandeln.

Auf der anderen Seite stelle sich laut Stefan Lunk, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Honorarprofessor an der Universität Kiel, die Frage, ob die Argumentation der Richter, für sie gelte keine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, nicht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zuwiderlaufe, denn diese ziele auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz und kenne keine Unterscheidung zwischen Angestellten und Beamten.

Es gibt auch Stimmen von Rechtsexperten, nach denen das BAG in seiner Interpretation des EuGH-Urteils zu weit gegangen ist. Ihrer Meinung nach lässt sich aus diesem Urteil keine allgemeine Erfassungspflicht der Arbeitszeit ableiten. Wenn aber das BAG diese strenge Auslegung vornehme, dann müsse diese auch für sie selbst gelten.

Solange der Gesetzentwurf zur Arbeitszeiterfassung nicht vorliegt, wird es noch viel Spekulation geben. Es wird also Zeit, dass die Bundesregierung Farbe bekennt und für Klarheit sorgt.



Verfasst von Christian Kunz

Christian verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Projektmanagement, Produktmanagement sowie agiler Projektentwicklung, die er in verschiedenen Unternehmen erworben hat.