Arbeitszeitflexibilisierung bedeutet weniger Planbarkeit für Arbeitnehmer – sagt ein Experte für Arbeitsrecht

Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten wird oftmals mit dem Argument gefordert, sie ermögliche eine bessere Work-Life-Balance für die Arbeitnehmer. Laut einem Experten für Arbeitsrecht ist aber das Gegenteil der Fall.
Arbeitszeit Frauen

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Arbeitszeitflexibilisierung bedeutet weniger Planbarkeit für Arbeitnehmer – sagt ein Experte für Arbeitsrecht

Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten wird oftmals mit dem Argument gefordert, sie ermögliche eine bessere Work-Life-Balance für die Arbeitnehmer. Laut einem Experten für Arbeitsrecht ist aber das Gegenteil der Fall.

Die von der Bundesregierung beschlossene Wachstumsinitiative sieht verschiedene Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft vor. Eine dieser Maßnahmen ist das begrenzte Aussetzen der bestehenden Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit im Rahmen von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen. Auch sollen steuerliche Anreize für die Ausweitung der Arbeitszeiten gesetzt werden.

In einem Interview äußerte sich Prof. Dr. Daniel Ulber von der Universität Halle-Wittenberg zur Frage, was von einer weitergehenden Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu erwarten ist. Dabei betonte er, dass bereits die bestehenden Regelungen ein hohes Maß an Flexibilität bieten. So sei es bereits heute möglich, an sechs Tagen pro Woche bis zu zehn Stunden täglich zu arbeiten, wenn im Durchschnitt eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werde. Tarifvertragsparteien könnten bei Bereitschaftsdiensten und Arbeitsbereitschaft weitere Überschreitungen zulassen.

Änderung der Arbeitszeit kann nur unter Beachtung der Mindestruhezeit erfolgen

Was eine mögliche Abschaffung des Acht-Stunden-Tages angeht, erklärte Ulber, dieser sei weltweit Ausgangspunkt des Arbeitszeitrechts. Das liege daran, dass Menschen ohne deutlichen Abfall der Leistungsfähigkeit und Anstieg der Fehleranfälligkeit nicht länger als acht Stunden arbeiten können.

Eine Änderung des geltenden Arbeitszeitgesetzes sei nur im Rahmen der Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie möglich. Darin ist neben einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden auch eine Mindestruhezeit von elf Stunden zwischen zwei Arbeitseinsätzen vorgesehen.

Zur Forderung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach einer Abschaffung der täglichen zugunsten einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit sagte Ulber, das sei nur möglich, wenn man gleichzeitig die tägliche Mindestruhezeit beachte. Daraus ergebe sich dann wiederum mittelbar eine tägliche Höchstarbeitszeit.

Arbeitszeitgesetz bietet in vielen Fällen genügend Flexibilität

Ulber sprach sich dafür aus, Sonderregelungen für einzelne Berufsgruppen und Tätigkeiten zu schaffen, wie es zum Beispiel Artikel 17 der Arbeitszeitrichtlinie vorsieht. Für Arbeitnehmer, die körperliche Arbeit an festen Betriebsstätten erbringen, seien keine Änderungen am Arbeitszeitgesetz erforderlich. Hier würden die gesetzlichen Regelungen auch weitgehend eingehalten. Bei anderen Berufsgruppen wie zum Beispiel denjenigen, die orts- und zeitunabhängig arbeiten, könne es aber Probleme geben. Hier sei zu überlegen, wie man dies für die betreffenden Fälle regeln könne. Dazu biete sich zum Beispiel eine Aufteilung des Arbeitszeitgesetzes in einen allgemeinen und einen besonderen Teil an.

Flexiblere Arbeitszeiten führen zu weniger Planbarkeit bei den Beschäftigten

Kritisch sieht Ulber die Bedeutung einer weitergehenden Arbeitszeitflexibilisierung für die Beschäftigten. Wenn Begrenzungen hinsichtlich der Arbeitszeit aufgehoben würden, bedeute das für Beschäftigte nicht mehr Flexibilität, sondern einen Verlust an Planbarkeit. Dabei brauche es für Personen, die beispielsweise Angehörige pflegen oder Kinder betreuen, mehr Zeitsouveränität im Sinne von Selbstbestimmung hinsichtlich der Dauer und der Lage ihrer Arbeitszeit. Die aktuellen Pläne des Gesetzgebers liefen aber genau in die entgegengesetzte Richtung.

Kritik übte Ulber an der Bundesregierung wegen der noch immer ausstehenden gesetzlichen Regelung der Arbeitszeiterfassung. Zwar gebe es in Deutschland bereits heute die Pflicht für Arbeitgeber, ein System zum Erfassung des Beginn und des Endes der täglichen Arbeitszeit inklusive Überstunden einzuführen – dies ergebe sich aus § 3 II Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz – doch sei nach wie vor unklar, wie diese Systeme ausgestaltet sein müssen. Das führe in der Praxis zu Rechts- und Planungsunsicherheit.

Bewertung

Für viele Arbeitnehmer und Unternehmen stellen die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Höchstarbeitszeit keine Einschränkungen dar. Für bestimmte Berufsgruppen und Tätigkeiten kann dagegen mehr Spielraum durchaus sinnvoll sein. Das betrifft vor allem sogenannte Wissensarbeit, die zeitlich und örtlich unabhängig geleistet wird. Arbeitszeitflexibilisierung ist aber keinesfalls immer gleichzusetzen mit einer besseren Work-Life-Balance, sondern kann dieser sogar zuwiderlaufen.

Nicht nachvollziehbar ist, dass die Bundesregierung bis heute nicht imstande ist, eine gesetzliche Regelung für die Anforderungen an Zeiterfassungssysteme zu verabschieden. Unternehmen benötigen Planungssicherheit, die ihnen durch den Zeitverzug der Bundesregierung verwehrt bleibt.



Verfasst von Christian Kunz

Christian verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Projektmanagement, Produktmanagement sowie agiler Projektentwicklung, die er in verschiedenen Unternehmen erworben hat.