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Arbeitszeit von Lehrern: Hamburger Faktorenmodell auf den Prüfstand
Die Arbeitszeit von Lehrkräften in Hamburg ist anders geregelt als in anderen Bundesländern. Eine Studie soll zeigen, ob das seit dem Jahr 2003 geltende Hamburger Faktorenmodell den Anforderungen an eine realistische Aufteilung der Arbeitszeiten gerecht wird.
Im Jahr 2003 hatte Hamburg eine Neuregelung der Arbeitszeiten für Lehrkräfte eingeführt: das sogenannte Faktorenmodell. Ziel war die Orientierung an den tatsächlich anfallenden Aufgaben von Lehrkräften, zu denen neben den Unterrichtsstunden beispielsweise auch Konferenzen, Aufsichten und Fortbildungen zählen. Dem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass 75 Prozent der Arbeitszeit für den Unterricht, 10 Prozent für allgemeine Aufgaben und 15 Prozent für Funktionen anfallen. Für jede Lehrkraft in Hamburg wird die Arbeitszeit auf den Unterricht und auf allgemeine Arbeiten verteilt. Zudem entscheidet die Schulleitung, welche Funktionen in welchem Umfang auf die Arbeitszeit angerechnet werden.
- Arbeitszeiten erfassen
- Dokumentationspflicht einhalten
- Arbeitszeitkonten digital verwalten
- Zeiten auswerten und exportieren
Wichtig ist dabei die sogenannte Faktorisierung: Je nach Schulstunde und Korrekturaufwand in den Fächern wird pro Unterrichtsstunde über einen bestimmten Umrechnungsschlüssel mehr oder weniger Arbeitszeit angerechnet. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass ein Lehrer für Mathematik weniger Stunden unterrichten muss als ein Sportlehrer.
Studie soll Faktorenmodell testen
Doch bildet dieses Faktorenmodell die Arbeitszeiten der Lehrkräfte in realistischer Weise ab? Dieser Frage soll eine Arbeitszeit- und Belastungsstudie nachgehen, die an Hamburger Gymnasien und Stadtteilschulen durchgeführt wird. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg unterstützt die Studie. Die Durchführung der Studie liegt bei der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen.
Die Studie verfolgt verschiedene Ziele: Zunächst sollen Mehrarbeit und überlange Arbeitszeiten identifiziert werden. Das soll anhand eines Soll-Ist-Abgleichs erfolgen. Hierbei werden die Soll-Vorgaben des Faktorenmodells mit der tatsächlichen Arbeitsbelastung abgeglichen. Die Arbeitszeiten aller teilnehmenden Lehrkräfte in ihrer Gesamtheit werden ebenso wie die individuellen Arbeitszeiten einzelner Lehrkräfte betrachtet. Dabei soll auch zwischen einzelnen Aufgabenbereichen unterschieden werden.
Die Studie soll außerdem zeigen, ob und inwieweit die Lehrkräfte die geplanten Arbeitszeiten überschreiten und ob die gesetzlich vorgegeben Arbeits-, Pausen- und Ruhezeiten eingehalten werden. Dabei soll die Belastung der Lehrkräfte durch die Abweichungen zwischen geplanter und leistbarer Arbeitszeit aufgezeigt werden.
Geprüft werden soll außerdem der Anteil neuer Aufgaben bzw. der Anteil von Aufgaben, die außerhalb des Unterrichts geleistet werden. Dadurch soll geklärt werden, ob solche Aufgaben durch das Modell in angemessener Weise abgebildet werden, oder ob es Lücken gibt.
Zudem sollen sogenannte Hotspots der Belastung von Lehrkräften identifiziert werden.
Teilnehmende Lehrkräfte können ihre Arbeitszeiten mithilfe eines browserbasierten Online-Tools erfassen. Zusätzlich zu den Arbeitszeiten wird jeweils die Kategorie der Tätigkeit eingetragen wie zum Beispiel Unterricht, Vor- und Nachbereitung sowie Konferenzen.
Unterschiede des Hamburger Faktorenmodells zu den Arbeitszeitmodellen von Lehrern in anderen Bundesländern
Hamburg ist hinsichtlich der Regelung der Arbeitszeiten von Lehrkräften ein Sonderfall in Deutschland. Während in allen übrigen Bundesländern ein Jahresarbeitszeitmodell auf Grundlage von Unterrichtspflichtstunden, sogenannter Deputate, zum Einsatz kommt, werden in Hamburg auch darüberhinausgehende Tätigkeiten von Lehrkräften einbezogen.
Auch wenn das Hamburger Faktorenmodell gegenüber den Deputaten in anderen Bundesländern den Vorteil bietet, dass zusätzliche Tätigkeiten erkennbar sind und die Arbeitszeit von Lehrern keine Black Box mehr ist, gibt es auch Kritik. So wird zum Beispiel bemängelt, dass es seit der Einführung des Faktorenmodells in Hamburg im Jahr 2003 keine Veränderungen an der Personaldecke gegeben habe. Zwar seien zwar mehr Aufgaben angerechnet worden, ohne dass es jedoch zusätzliche Einstellungen gegeben habe, wie es laut dem Deutschen Schulportal aus Kreisen Hamburger Lehrkräfte verlautet. Stattdessen habe man versucht, durch Maßnahmen wie größere Lerngruppen oder verkürzte Stunden Zeit für zusätzliche Aufgaben zu schaffen.
Kritisiert wird außerdem, dass in den vergangenen Jahren verschiedene Aufgaben für Lehrkräfte hinzugekommen seien, ohne dass diese in das Arbeitszeitmodell eingeflossen wären. Man scheue vor Änderungen des Modells zurück, weil dieses dann anfechtbar sei. Für das aktuelle Modell sei die Widerspruchsfrist dagegen schon längst verstrichen.
Wie passen das Hamburger Faktorenmodell und die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zusammen?
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019 müssen Arbeitgeber in der EU die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter erfassen. Das gilt auch für die Länder als Dienstherren der Lehrkräfte. Allerdings lässt die Arbeitszeiterfassung für Lehrer in Deutschland noch auf sich warten. Die Kultusministerien blockieren entsprechende Regelungen und haben beantragt, Lehrkräfte von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auszunehmen – allerdings ohne Erfolg.
Weil das Hamburger Faktorenmodell neben den Unterrichtsstunden auch weitere Tätigkeiten von Lehrkräften einbezieht, ist es besser für die Arbeitszeiterfassung geeignet als die Arbeitszeitmodelle in den übrigen Bundesländern, in denen lediglich die Deputate für Unterrichtsstunden geregelt sind. Doch auch dort wäre eine Arbeitszeiterfassung möglich. Vorteile wären Transparenz zum Abgleich von Soll- und Ist-Arbeitszeiten und die Möglichkeit, das Einhalten von gesetzlichen Arbeitszeiten sowie von Pausen und Ruhezeiten nachzuweisen.