Inhalt
- Anhörung zur Arbeitszeiterfassung: Forderungen nach Flexibilität und Arbeitsschutz
- Das Wichtigste in Kürze
- Wird Vertrauensarbeitszeit zu Lasten der Arbeitnehmer angewandt?
- Lange Arbeitszeiten und unterbrochene Ruhezeiten können zu gesundheitlichen Problemen führen
- Plädoyer für den Acht-Stunden-Tag
- Erst Arbeitszeiterfassung, dann weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten
- Arbeitgeber setzen sich für den Erhalt der Vertrauensarbeitszeit ein
- „Bei Arbeitszeiterfassung auf den Zweck und nicht nach Gerichtsurteilen schauen“
- Ist Arbeitszeiterfassung bei den Beschäftigten erwünscht?
- Unklare Definition von Vertrauensarbeitszeit
- Klare gesetzliche Grundlage zur Arbeitszeiterfassung gefordert
- Handwerk spricht sich für Formfreiheit bei der Arbeitszeiterfassung aus
- Fazit
Anhörung zur Arbeitszeiterfassung: Forderungen nach Flexibilität und Arbeitsschutz
In einer Anhörung zur Arbeitszeiterfassung wurden ein Antrag der Union und der Linken erörtert. Dabei wurden die unterschiedlichen Positionen deutlich. Während von Union, FDP und Arbeitgeberseite vor allem Flexibilität gefordert wird, geht es SPD, den Grünen, Linken und Arbeitnehmern in erster Linie um Aspekte des Arbeitsschutzes und der Arbeitsgesundheit.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Befragung der Sachverständigen ergab wenig Überraschungen.
- Es zeigten sich zwei Lager: Während SPD, Grüne und Linke auf möglichst klare Regeln bei der Zeiterfassung pochten, streben FDP und Union Freiräume bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung an.
- Es wurde auch gefordert, dass Beschäftigte die Möglichkeit erhalten sollen, freiwillig auf Arbeitszeiterfassung zu verzichten.
- Laut Untersuchungen geht ein Verzicht auf Arbeitszeiterfassung mit einer schlechteren Vereinbarkeit von Beruf und Familie einher.
- Es ging auch um die Frage, ob die verpflichtende Arbeitszeiterfassung mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten verbunden werden sollte.
- Vor allem die Union sprach sich für Wochen- statt Tageshöchstarbeitszeiten aus.
- Von Arbeitgeberseite wurde die Forderung gestellt, dass Vertrauensarbeitszeit auch weiterhin möglich sein müsse. Dabei ist gar nicht genau definiert, was Vertrauensarbeitszeit überhaupt ist.
- Auch bei Vertrauensarbeitszeit steht der Arbeitgeber in der Verantwortung, auf die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten zu achten.
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Unter Vorsitz von Bernd Rützel (SPD) fand am 9. Oktober eine Anhörung zu zwei Anträgen statt, die von der Union sowie von der Fraktion Die Linke zur geplanten Gesetzesänderung für die Arbeitszeiterfassung eingebracht worden waren.
Im Antrag der CDU (PDF) geht es vor allem darum, möglichst viel Flexibilität bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung zu wahren. Die Linke fordert in ihrem Antrag (PDF) dagegen eine möglichst zeitnahe und präzise Arbeitszeiterfassung zum Zweck des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten.
Zur Anhörung geladen waren verschiedene Abgeordnete der im Bundestag vertretenen Fraktionen, verschiedene Sachverständige und Experten sowie Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.
Wird Vertrauensarbeitszeit zu Lasten der Arbeitnehmer angewandt?
Isabel Eder vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) wies darauf hin, dass schon jetzt ein System zur Einführung zur Arbeitszeiterfassung vorgeschrieben sei. Zur Vertrauensarbeitszeit gebe es keine Aussage im Urteil des Bundesarbeitsgerichts, in welchem die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland festgestellt wurde. Vertrauensarbeitszeit werde laut Eder eher zu Lasten der Arbeitnehmer angewandt. Die Mitarbeiter würden oftmals alleine gelassen. Zudem forderte sie, dass Zeiterfassungssysteme muss auch genutzt werden müssten. Die Bereitstellung alleine genüge nicht.
Lange Arbeitszeiten und unterbrochene Ruhezeiten können zu gesundheitlichen Problemen führen
Dr Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin erklärte, 80 Prozent der Mitarbeiter würden bereits ihre Arbeitszeit erfassen. Bei 20 Prozent sei eine Entgrenzung von Arbeit und Freizeit zu beobachten. Problematisch bei fehlender Arbeitszeiterfassung seien vor allem die folgenden Aspekte:
- Lange Arbeitszeiten
- Verkürzte Ruhezeiten
- Ausfallende Pausen
- Erreichbarkeit in der Freizeit
- Deutlich mehr Überstunden verfallen und werden nicht ausgeglichen
- Abschalten von der Arbeit falle schwerer
- Schlechtere Work-Life-Balance
- Beschäftigte können schlechter von der Arbeit abschalten – insbesondere bei Homeoffice oder Remote Work.
Beschäftige, die Arbeitszeiten erfassen, berichten dagegen von mehr Flexibilität und Handlungsspielräumen. Das werde darauf zurückgeführt, dass Arbeitszeitkonten ein Werkzeug für Flexibilität sind und Ausgleich schaffen.
Studien aus der Schweiz zu geändertem Gesetzentwurf, in dem die Regeln zur Arbeitszeiterfassung gelockert wurden, hätten gezeigt: Ein Verzicht auf Arbeitszeiterfassung ergab eine schlechtere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sowie weniger Freizeit.
Unterbrechungen der Ruhezeit können eine Beeinträchtigung der Gesundheit bedeuten und beispielsweise zu Schlafstörungen führen. Zu lange Arbeitszeiten können außerdem zu einer Zunahme psychosomatischer Beschwerden wie zum Beispiel Kopfschmerzen führen. Weniger Ruhezeiten weisen laut Backhaus eine positive Korrelation zur Anzahl der Krankheitstage auf.
Problematisch sei vor allem, dass einzelne ungünstige Phänomene wie lange Arbeitszeiten oder unterbrochene Ruhezeiten nicht isoliert, sondern oftmals in Kombination auftreten würden, was deren negative Effekte verstärke.
Zu einem Recht auf Nicht-Erreichbarkeit erklärte Backhaus, dieses sei dann nicht nötig, wenn die Ruhe- und Erholungszeiten eingehalten werden.
Eine Vier-Tage-Woche mit zehn Stunden pro Tag sei aus Sicht des Arbeitsschutzes und des Gesundheitsschutzes nicht empfehlenswert. Sie schaffe an den entsprechenden Tagen weniger Flexibilität. Hinzukommen die Pausen, so dass an Arbeitstagen nur wenig Freizeit verbleibe.
Backhaus sprach sich für eine vollständige, lückenlose und elektronische Form der Zeiterfassung aus. Wünschenswert sei auch eine Automatisierung, wodurch Fehler und Manipulationen vermieden werden könnten.
Plädoyer für den Acht-Stunden-Tag
Christiane Brors vom Institut für Rechtswissenschaften an der Universität Oldenburg wies darauf hin, dass der Acht-Stunden-Tag aus Gründen des Gesundheitsschutzes in das Arbeitszeitgesetz geschrieben worden sei. Sie verwies außerdem auf die Möglichkeit, die tägliche Arbeitszeit vorübergehend auf zehn Stunden zu erhöhen.
Brors erläuterte, die EU-Arbeitszeitrichtlinie sehe nur für ganz bestimmte Gruppen von Beschäftigten Ausnahmen von der Arbeitszeiterfassung vor. Dabei handele es sich um Personen, die in der Einteilung ihrer Arbeit frei und selbständig entscheiden könnten, wie zum Beispiel Richter oder Professoren.
Mobiles Arbeiten führe zur Entgrenzung. Tägliche Höchstarbeitszeiten seien arbeitsmedizinisch geboten. Viele Erkrankungen an Burnout seien ein Zeichen dafür, dass eine Abgrenzung notwendig sei.
Erst Arbeitszeiterfassung, dann weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten
Es bedürfe einer Arbeitszeiterfassung, die gegen Manipulationen geschützt ist, bevor man über eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten sprechen könne, so Brors weiter. Es sei geboten, das Urteil des EuGH jetzt umzusetzen. Die Dokumentation der Arbeitszeiten müsse taggenau und digital sein, um transparent zu sein.
Brors wies auf die Steuerungsfunktion des Arbeitgebers auch bei Vertrauensarbeitszeit hin. Dadurch, dass er seinen Beschäftigten bestimmte Arbeitspakete zuweise, sei er auch in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die zulässigen Höchstarbeitszeiten nicht überschritten werden.
Arbeitgeber setzen sich für den Erhalt der Vertrauensarbeitszeit ein
Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. erklärte, Vertrauensarbeitszeit müsse erhalten werden. Sie sei ein wichtiges Element für die betriebliche Praxis. Dies zu ermöglichen, sei eine Frage des Arbeitsvertrags und nicht des Arbeitszeitgesetzes, wobei Letzteres unterstützen könne. Wolf wiederholte die Forderung, von der täglichen zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit umzustellen. Ruhezeiten sollen dagegen mehr in die Verantwortung der Sozialpartner gelegt werden.
Wolf führte weiter aus, die Urteile des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts würden nichts zur Vertrauensarbeitszeit aussagen. Es gebe gemäß EuGH keine Pflicht, eine Arbeitszeiterfassung durchzuführen, sondern nur, ein geeignetes Zeiterfassungssystem bereitzustellen.
„Bei Arbeitszeiterfassung auf den Zweck und nicht nach Gerichtsurteilen schauen“
Diese Auffassung bestätigte Georg Thüsing, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er riet dazu, bei der Suche nach einer passenden Lösung zur Arbeitszeiterfassung nicht nach Gerichtsurteilen zu schauen, sondern sich danach zu richten, was vernünftig ist. Dabei müssten die Zwecke der Arbeitszeiterfassung betrachtet werden. Der wichtigste Zweck sei der Arbeitnehmerschutz. Eine Aufzeichnungspflicht ergebe dann keinen Sinn, wenn ein Mitarbeiter von sich aus auf die Arbeitszeiterfassung verzichten wolle. Spielräume bei der Umsetzung sollten genutzt werden, was zum Beispiel für Ausnahmen für kleine Unternehmen bedeute, um möglichst wenig zusätzliche Bürokratie zu schaffen.
Ist Arbeitszeiterfassung bei den Beschäftigten erwünscht?
Oliver Zander Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, nannte die Behauptung, es gebe Millionen von unbezahlten Überstunden, schwierig. Zudem vertrat er die These, dass ein großer Teil derjenigen, die sich aktuell in Vertrauensarbeitszeit befinden, gar keine Arbeitszeiterfassung wünsche. Als Beispiele nannte er Richter, die sich von der Arbeitszeiterfassung ausnehmen wollen, aber auch Teile der Wissenschaft. Er verwies auch auf die Forderung der Kultusministerkonferenz (KMK), Lehrer von der Arbeitszeiterfassung auszunehmen. Ein Arbeitnehmer, der verlange, dass seine Arbeitszeiten erfasst werden, solle diese Möglichkeit auch erhalten.
Unklare Definition von Vertrauensarbeitszeit
Prof. Dr. Thomas Klein von der htw saar stellte die Frage, was überhaupt unter Vertrauensarbeitszeit zu verstehen sei. Bestehe Vertrauensarbeitszeit lediglich darin, dass Arbeitnehmer den Beginn und das Ende ihrer Arbeitszeit selbst festlegen können, sei dies im Sinne des EuGH-Urteils auch weiterhin möglich. Der Arbeitgeber müsse lediglich kontrollieren, dass die Höchstarbeitszeit eingehalten wird. Unter diesem Aspekt sei Vertrauensarbeitszeit also möglich.
Was den aktuellen Referenzenentwurf zur Anpassung des Arbeitszeitgesetzes betrifft, kritisierte Klein zwei Punkte: Erstens müsse sich ein Arbeitnehmer selbst an die zuständigen Behörden wenden, wenn sein Arbeitgeber die Arbeitszeiten nicht erfasse. Und zweitens hätte der Arbeitnehmer für die in der Vergangenheit nicht erfassten Arbeitszeiten dann immer noch keine Dokumentation an der Hand. Aus diesem Grund sei eine Anpassung der Beweislast sinnvoll, damit es der Arbeitnehmer leichter hätte, erbrachte Arbeitszeiten nachzuweisen.
Klare gesetzliche Grundlage zur Arbeitszeiterfassung gefordert
Frank Bayreuther vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Passau verwies auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Demzufolge müssen Arbeitszeiten bereits heute erfasst und aufgezeichnet werden. Bayreuther forderte eine klare gesetzliche Grundlage für die Arbeitszeiterfassung, damit auch Sanktionen bei Verstößen möglich sind.
Handwerk spricht sich für Formfreiheit bei der Arbeitszeiterfassung aus
Jan Dannenbring vom Zentralverband des Deutschen Handwerks sprach sich für Formfreiheit bei der Arbeitszeiterfassung aus. Insbesondere für mobile Arbeitskräfte gebe es Grenzen bei der elektronischen Arbeitszeiterfassung.
Wolfgang Molitor vom Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks sieht eine taggenaue Arbeitszeiterfassung als unmöglich an, auch aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in der Branche. Die Arbeitszeiterfassung innerhalb von sieben Tagen hätte sich dagegen bewährt.
Molitor wiederholte die Auffassung der Gebäudereiniger, dass es aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in der Branche schwierig sei, eine elektronische Arbeitszeiterfassung für alle Mitarbeiter durchzuführen. Feste Terminals wären ohnehin keine praktikable Lösung, weil die Arbeitskräfte an Standorten unterschiedlicher Eigentümer eingesetzt werden und dort auch verschiedene Dienstleister zum Einsatz kämen. Gegen mobile Apps spreche, dass man dann für alle 700.000 Mitarbeiter der Branche mobile Geräte vorhalten und warten müsse.
Gegen eine taggenaue Arbeitszeiterfassung spreche laut Molitor, dass diese fehleranfällig sei. Bei einer Frist von sieben Tagen hingegen ließen sich Fehler leichter korrigieren.
Fazit
Wie in solchen Anhörungen üblich richteten die Vertreter der einzelnen Fraktionen ihre Fragen nur an „ihre“ Sachverständigen und Experten, um sich ihre Positionen bestätigen zu lassen. Eine Diskussion der einzelnen Punkte fand nicht statt. Die Aussagen der Sachverständigen und Experten wurden nicht hinterfragt.
Es zeigten sich jedoch auch Ansatzpunkte, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen – etwa in der Frage, ob es für bestimmte Unternehmen mehr Freiheiten bei der Form der Arbeitszeiterfassung geben könnte. Auch die Möglichkeit für einzelne Arbeitgeber, freiwillig auf Arbeitszeiterfassung zu verzichten, wird sicherlich noch diskutiert werden.
Es bleibt zu hoffen, dass die Anhörung den zum Erliegen gekommenen Gesetzgebungsprozess wieder in Gang setzt und dass noch in dieser Legislaturperiode ein neues Arbeitszeitgesetz mit klaren Regeln zur Arbeitszeiterfassung verabschiedet wird. Dadurch erhielten Arbeitgeber und Arbeitnehmer die nötige Rechtssicherheit, die aktuell fehlt.